Sonntag, 21. September 2008

Die gestundete Zeit

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.


Ingeborg Bachmann

3 Kommentare:

isöwa hat gesagt…

oh, meine Jugendlieben....
hab genau dieses noch von ihr selbst gehört und war nach der Lesung mal glühende Anhängerin für lange Zeit...

die Anrufung des großen Bären war bis kurz vor deinem ersten Auftauchen Nachtkastlbuch Nr.1

bisserl Bachmann-Gen hängengeblieben?
Rilke,Hesse waren dann im Schwangerschaftscocktail ....

ullamarike hat gesagt…

Das gehört auch zu meinen Lieblingsgedichten, sonst kenn ich nicht so viel von ihr. Aber von ihr selber gelesen, muss das extra schön gewesen sein...

Ja, die Gedichte sind scheinbar in den Genen hängen geblieben. Im Gegensatz zu vielem anderen Nützlichen, dass ich noch besser brauchen könnte. (Kreativität, Geduld, Kochen,...) :-)

isöwa hat gesagt…

Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen,
die Zeit und die Zeit danach.
Wir haben keinen.

Nur sinken um uns von Gestirnen. Abglanz und Schweigen.
Doch das Lied überm Staub danach
wird uns übersteigen.

Ingeborg Bachmann

das ist dir sicher geläufig....