Mitternacht, Telefonseelsorge. Grad ist Ruhe eingekehrt. Da fällt mir dieser Text von Thomas Meurer in die Hände - ein richtigs kleines Geschenk. Berührend und spricht mir aus dem Herzen:
"Er sah aus wie ein Jäger aus einem Heimatfilm der fünfziger Jahre: den grünen Filzhut leicht schräg auf den Kopf gesetzt, dunkelbraune Lederjoppe, Kniebundhosen mit dunkelgrünen Strickstrümpfen. Neben festem Schuhwerk gehörten zu seinem Outfit ein Fernglas, ein Spazierstock, an sonnigen Tagen eine Kamera um den Hals. Ich habe ihn nie anders gesehen, obwohl er weder Jäger noch Förster war. Er arbeitete in einem mittelständischen Betrieb oder im Büro. Er war ein Einzelgänger, der außer seiner alten Mutter niemanden mehr zu haben schien. Als man ihn begrub, sagten manche, er sei ein feiner Kerl gewesen, sonderbar und nicht in die Zeit passend, aber nie unzufrieden und immer guter Dinge.
Der österreichische Autor Adalbert Stifter schreibt in seinen „Feldblumen“: „In dem reichsten wie ärmsten Menschen geht eine Bibliothek von Dichtungen zu Grabe, die nie erschienen sind.“ Ich stelle mir vor, welche Dichtungen von Waldromantik, Heimatverliebtheit und Jagdherrlichkeit vielleicht in jenem stillen Mann zu Grabe getragen worden sind, in denen er gelebt und geträumt hat und die er vielleicht nie mit jemandem zu teilen vermochte. Ein berühmter Literat soll, nach dem Titel seiner möglichen Autobiografie gefragt, geantwortet haben: „All das Ungelesene“. Wir alle sind am Ende ungelesene Bibliotheken, nie erschienene Manuskripte, verschollene Fragmente. Wie sehr würde ich dem stillen Jäger, der keiner war, und den Vielen wünschen, dass kein Buchstabe dieser inneren Dichtung verloren gehen, kein Jota daran verändert würde."
Samstag, 20. Jänner 2007
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